Ein Plädoyer für die Priorisierung von Zukunftsthemen in Krisenzeiten
Eigentlich sollten Krisen ein Weckruf und damit auch ein Innovationskatalysator sein – doch aktuell sieht die Realität, die uns in vielen Firmen begegnet, allerdings etwas anders aus. Gerade beim Thema Innovation wird häufig zuerst gespart, Innovations- und Digitalisierungsprojekte werden bis auf weiteres pausiert oder gestoppt. Laut jüngster BDI-Umfrage haben 38% der Unternehmen ihre R&D-Ausgaben zurückgefahren oder gestoppt.
Dabei räumen meiner Erfahrung nach die meisten Unternehmer und Entscheider durchaus ein, dass diese Projekte für die Zukunftsfähigkeit ihres Unternehmens maßgeblich sind. Die (wenigen) Führungskräfte mit unternehmerischem Mindset, die sich aktuell um in den Organisationen um das Thema kümmern, müssen zusehen, wie sie bei eingefrorenen Budgets und steigendem Arbeitspensum die Digitalisierung vorantreiben.
Innovation war zu lange ein Prestige-Projekt
Dabei galt schon vor der Krise: Es gibt kein gutes Timing für Innovation. Entweder Innovation und Zukunftsfähigkeit werden von der Geschäftsführung konstant priorisiert oder eben nicht. Das verständliche Dilemma ist: Vor der Krise ging es uns zu gut, große Veränderungen waren unternehmenspolitisch häufig schwer durchzubekommen. Und jetzt kämpfen viele an den Fronten des alten Kerngeschäfts ums Überleben, während die Innovationspflänzchen oft noch zu zart sind um es nachhaltig zu stützen.
Als Wirtschaftsteilnehmer wie auch als Gesellschaft haben wir Innovation in den vergangenen Jahren gerne als Prestige-Thema gesehen: Innovativ sein, das wollte jeder, schon weil man damit bei den raren Fachkräften punkten konnte. Doch den missliebigen Teil von Innovation – die Umsetzung trotz Unsicherheit, die Fehler, die Kosten, die kontroversen Diskussionen – scheuten Vorstände und Politik gleichermaßen. Infolge der Krise erwarten Analysten einen deutlichen Rückgang der Corporate-Venture-Aktivitäten (die schon vor Corona bei einigen Konzernen für Desillusionierung gesorgt haben), das Bildungssystem wurde von den digitalen Anforderungen des Homeschoolings kalt erwischt und der ein oder andere Mutterkonzern hat die “Prüfung” der Stilllegung ihrer Innovation Hubs bereits angekündigt.
Wie kommen wir aus dem Dilemma heraus?
Natürlich sind es keine leichten Entscheidungen, die in den zurückliegenden Wochen unter Zeitdruck, bei unübersichtlicher Lage und unter massiver öffentlicher Beobachtung gefällt werden mussten.
Doch wir sollten wir uns immer wieder vor Augen führen, dass wir in den letzten 10 Jahren in der Wirtschaft schon einiges erreicht haben – damit wir die Errungenschaften in Sachen Innovation jetzt nicht aus Angst verspielen. Es gibt genug Unternehmen, die bewiesen haben, was an technologischer Innovation möglich ist, die sich auch in der neuen, digitalen Welt als Marktführer etablieren wollen, und deren Vorstände dies auch an ihre Belegschaft kommuniziert haben – Hidden Champions wie Knauf, Kärcher, Phoenix oder Trumpf sind nur einige Beispiele.
Der Test wird nun, das Gewonnene durch eine Rezession zu bringen. Und auch das kann funktionieren.
Die strategische Verankerung von Innovation im Unternehmen sollte zum Fokuspunkt werden – und zwar so, dass sie eine Hebelwirkung hat. In Vor-Krisenzeiten wurde auch beim Thema Innovation gerne nach dem Gießkannenprinzip gearbeitet: Überall im Unternehmen Projekte anzustoßen und wieder zu stoppen, alles ohne wirkliche Gesamtstrategie – diese Methode hat nun ausgedient.
Es ist jetzt an der Zeit, Innovation strategisch neu zu denken, mit weniger Aktionismus und mit mehr Sinn für Ganzheitlichkeit. Das bedeutet zum Beispiel, dass man nicht gleich 20 IT-Experten ohne klaren Arbeitsauftrag einstellt, sondern zunächst einen guten Technik-affinen Intrapreneur, der die Innovationsstrategie mit der Geschäftsführung zusammen aufsetzen kann.
Oder dass man die aktuelle Zeit nutzt, um einmal ganz genau zu beobachten, wie die eigenen Kunden und Mitarbeiter ihr Verhalten ändern und daraus neue Strategien für Produkt- und Organisationsaufbau abzuleiten. Schließlich bedeutet Innovation im besten Fall nicht nur die oft gesehene Prozessdigitalisierung im Kerngeschäft, sondern das Aufsetzen ganz neuer Geschäftsmodelle – im besten Fall durch Führungskräfte, die unternehmerisch denken und handeln.
Innovation bedeutet doch gerade, neue Ideen möglichst „lean“ zu verwirklichen, so dass man dafür im ersten Schritt eben keine großartige Hardware oder Co-Working-Spaces mit Leuchtboard braucht. Sondern erstmal den Mut und die Entscheidung für sie. Innovative Unternehmen durchleben genauso Rezessionen wie diejenigen, die auf dem Status Quo beharren, aber sie wissen, dass sich der unmittelbare Erfolg nicht erzwingen lässt (das ist übrigens diese Fehlerkultur, von der viele gerne sprechen). Sie wissen, dass Innovation sich nur dann auszahlt, wenn man dran bleibt – „Marathon statt Sprint“ nennt es der BDI – und sie haben Unternehmer als Vorstände, die genau diese Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmung als ihren Auftrag sehen.
Wenn uns die vergangenen Wochen etwas gezeigt haben, dann, dass es erstens immer anders kommt und dass die Zukunft keine eineindeutige Geschichte ist, sondern aus verschiedenen Szenarien besteht, die wir gestalten können – und müssen. Dieses Wissen ist eigentlich der ideale Nährboden für Innovation. Jetzt müssen wir uns dafür entscheiden, darauf auch etwas anzubauen.